Kurt Marti

Neapel sehen

 

Bilder: Ina

Text: http://www.zum.de/Faecher/Materialien/dittrich/Literatur/Neapel_sehen_AB.htm     

 


Die Kurzgeschichte "Neapel sehen" von Kurt Marti wurde von den Schülerinnen der 11 unter dem Aspekt der Bedeutung der literarischen Gestaltung des Raumes näher untersucht. Über Skizzen zum Text erarbeiteten sich die Schülerinnen dabei die textimmanente Gliederung und das Thema bereits recht genau. Erste Beispiele für eine Textanalyse siehe unten. Einige Links, die zu weiteren Interpretationsansätzen führen, sind am Schluss angefügt.

Maren

Interpretation (Julia)

Die Kurzgeschichte „ Neapel sehen“ von Kurt Marti, erschienen 1960, handelt von einem Mann, der durch seine Arbeit sich selbst entfremdet wird und durch eine Krankheit die Chance bekommt, sich mit seinem Leben auszusöhnen.

Der Autor teilt den Text in zwei Abschnitte. Die erste Passage beschreibt den Hass des Mannes auf die Fabrik, der ständig steigt. Dies geht so weit, dass der Mann seinen Hass auf die Arbeit in der Fabrik, den Hass auf die Hetze nach Akkordprämien und schließlich sogar auf die Ehefrau, den Arzt und den Meister ausdehnt. Er wirkt am Ende wie ein Teil der Maschine, da er sogar nachts mit seinen Händen „ im schnellen Stakkato der Arbeit“ (Zeile 6) zuckt. Der Mann widmet sein ganzes Leben der Arbeit, doch er hasst sie so sehr, dass er den Blick auf die benachbarte Fabrik durch einen Bretterzaun verbarrikadiert. Dann, nach 40 Jahren Arbeitslaufbahn, erkrankt er und es geschieht eine große Veränderung in seinem Leben und in seinen Ansichten. Er verbringt nun den ganzen Tag zu Hause im Bett und das einzige, was er täglich sieht, sind sein Gärtchen und die Bretterwand, die ihn von der Außenwelt abschotten. Aus dem Hass auf die Fabrik entwickelt sich allmählich eine Sehnsucht nach der Fabrik. Nach drei Wochen fordert er seine Frau auf, zwei Bretter aus der Wand zu lösen, weil es ihm zu eintönig ist. Der Nachbar entfernt sie und ein Teil der Fabrik wird sichtbar. Nach und nach wird der Rest der Bretterwand niedergelegt und der Gesichtsausdruck des Mannes zeigt ein zärtliches, entspanntes Lächeln. Bereits wenige Tage danach stirbt der Mann.

In der Kurzgeschichte „ Neapel sehen“ spielt der historische Hintergrund eine bedeutende Rolle. Die Zeit, als Kurt Marti diesen Text verfasst hat, (1960) war bestimmt durch das Wirtschaftswunder. Dies bedeutet, dass auch die einfachen Menschen Arbeit ohne Ende hatten, ihre Familie ernähren und sich eine Existenz aufbauen  konnten. Die Chance, dass jeder zu einem gewissen Wohlstand kommen konnte, hatte aber auch eine Kehrseite, nämlich, dass die Menschen vor lauter Arbeit und Anschaffen von Haus und anderen Dingen den Bezug zu sich selbst und zu anderen Menschen verlieren konnte.

Das ständige Wiederholen von „ Er hasste...“ soll die Bedeutung des Wortes Hass noch mehr betonen. Es ist ein Signalwort dafür, dass die Spannung steigt und es im weitern Verlauf des Textes eventuell eine Wendung gibt, die das Gegenteil beschreibt.

Der Lebenssinn des Mannes besteht darin, jeden Tag arbeiten zu gehen. Der Beruf ist für ihn sein Ein und Alles. Doch trotzdem entwickelt er so viel Hass auf die Firma, bis er erkrankt. Dies öffnet ihm die Augen und er ändert seine Einstellung. Seine innere Veränderung lässt den Hass auf die Fabrik zur Sehnsucht nach der Fabrik werden. Es ist für ihn eine Chance des Lebens, die er für sich selbst genutzt hat.

Die Kurzgeschichte ist relativ eintönig geschrieben, mit oft parallel verlaufendem, parataktischem d und Satzbau. Der Satzanfang beginnt häufig mit anaphorischem „ Er“. All das wirkt eintönig und ermüdend und verdeutlicht auch sprachlich die Art der Arbeit, die der Mann täglich erlebt. Die Kurzgeschichte ist eher einfach / unkompliziert geschrieben, mit vereinzelten Fremdwörtern, so wie auch der Mann vielleicht eher einfach denkt und spricht. Dass er keinen Namen hat, zeigt, dass die Geschichte auf viele Menschen zutreffen kann, aber auch die Anonymität, die dieses Form der Arbeit hervorbringt.

Der Titel  " Neapel sehen"  ist auch sehr eng mit dem Text verbunden. Es ist eine Anspielung auf die ursprünglich italienische Redensart, die besagt: „Neapel sehen und dann sterben“.* Dies bedeutet in diesem Text, dass der Mann die Fabrik mit Neapel gleichstellt und dass es sein sehnlichster Wunsch ist, diese Firma noch einmal vor seinem Tod zu sehen. Ich denke, dass er in dieser Situation zum ersten Mal glücklich und zufrieden ist und nun endlich weiß, was Glück bedeutet.


* vedi napoli e poi muori - das ist ein Wortspiel der Italiener, denn Muori ist eine kleine Stadt hinter Neapel. Gleichzeitig bedeutet muori: sterben. Also: Wer so etwas Schönes gesehen hat wie die im Sonnenlicht liegende Stadt Neapel, der kann getrost sterben.


Interpretation (Nadine)

In Kurt Martis Kurzgeschichte „Neapel sehen“(1960), geht es um die Entfremdung durch die Arbeit und um die Aussöhnung mit dem Leben. Die Kurzgeschichte beschreibt einen 40 jährigen, erkrankten Mann, der auf Grund seiner Krankheit seinem normalen Tagesablauf nicht mehr nachkommen kann. Am Anfang der Geschichte wird immer wieder beschrieben, wie sehr er die tägliche Arbeit an den Maschinen in der Fabrik hasst. Er hasst das Tempo der Maschinen, (Z. 3) die Hetze nach Akkordprämien, (Z. 3-4) und ebenso seine Ehefrau, den Arzt, seinen Meister und die ewige verlogene Rücksicht (Z.8-9).

Nach einiger Zeit wird er krank. Dies ist der Wendepunkt seiner Geschichte. Gekennzeichnet von seiner Erkrankung ist er nicht mehr in der Lage, die Arbeit in der Fabrik an den Maschinen durchzuführen. Gekränkt schaut er von seinem Fenster aus auf die von ihm erbaute Bretterwand, die zur Abschirmung von Fabrik und dem Privatleben dienen soll. Er beginnt die Arbeit zu vermissen.

Glücklich und zufrieden über den Abriss der Bretterwand und den somit gewonnen Ausblick auf die Firma, verstirbt er kurze Zeit später mit einem „zärtlichen“ Lächeln.

In der Mitte der Kurzgeschichte, ab ca. (Z. 10-11) lässt sich der Text in zwei Teile aufteilen. Am Anfang wird die Hauptperson verdinglicht, als ein Teil der Maschinen dargestellt, er wirkt durch die Arbeit entfremdet. Doch dann wird diese Person krank , dies ist die erste Chance zur Aussöhnung. Er ist nun gezwungen, die Ruhe zu akzeptieren und nichts zu tun. Doch widerwillig entwickelt er eine gewisse Sehnsucht der Fabrik gegenüber. Er will, vom Autor umschrieben, noch einmal „Neapel“ sehen. Etwas ursprünglich Bekanntes, gleich einem Traum. Als er die Fabrik in voller Ansicht zu sehen bekommt, hat er sich mit seinem Leben ausgesöhnt. Er hat noch einmal „Neapel“ gesehen und kann jetzt beruhigt sterben.

Anhand von der sprachlichen Darstellung versucht Kurt Marti dem Leser diese Geschichte näher zu bringen. Er benutzt mehrere hintereinander folgende Anaphern ("Er hasste"). Zusätzlich benutzt er im Satzbau den Parallelismus und fast ausschließlich einfache Aussagesätze, (Parataxe). Diese sprachlichen Mittel nutzt er vermehrt am Anfang, er will dem Leser dadurch die Verdinglichung und die Entfremdung durch die Arbeit deutlich machen. Kurt Martis Auffassung vom Leben und der Arbeit wird durch seinen Beruf als Pfarrer stark geprägt. Als Pfarrer hat er die Aufgabe, im Sterben liegende Menschen auf dem letzten Weg zu begleiten. Daraus ist zu schließen, dass er so manche Dinge über das Leben mit der Arbeit in Erfahrung gebracht hat und diese nun in seiner Kurzgeschichte widerspiegeln will. Zudem wurde der Text um 1960 während der Zeit des  Wirtschaftswunders verfasst, in diesem Zeitabschnitt herrschte ein starker Mangel an Arbeitskräften, viele billige Arbeiter mussten aus anderen Ländern ins Land geholt werden, aber auch fuhren viele Deutsche zum ersten Mal wieder ins Ausland, vorwiegend zunächst nach Italien. Anhand dieser zeitlichen Zusammenhänge erkannt man als Leser eine Kritik daran, wenn man ausschließlich für die Arbeit lebt, ein Leben, wie es nicht sein sollte. Man darf sich nicht verdinglichen und durch die Arbeit entfremden lassen.

 

Interpretationen zum vorliegenden Text mit Übungen auch bei:

http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_aut/mrt/mrt_nea0.htm

http://www.3b-infotainment.de/unterricht/analyse1.htm

 


 

Meinhardt

 

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