Alle
Schülerinnen und Schüler des 13. Jahrgangs besuchten am Freitag
gemeinsam das Apollo-Theater, und das, obwohl die Wasserfluten aus der
Sprinkleranlage über die gesamte letzte Woche für die Betreiber zu
einer Zitterpartie geführt hatte. Von Wasserschäden war zum Glück
nichts mehr zu bemerken, so dass die „Emilia Galotti“ störungsfrei über die Bühne ging.
Zwar gehört
das Werk des großen Aufklärers und Rationalisten Gotthold Ephraim
Lessing zur Pflichtlektüre für das NRW-Abitur, aber dass es nicht nur
eine lästige Pflicht war, zeigten die Aufmerksamkeit und der
begeisterte Applaus der vorwiegend jungen Erwachsenen, die das Theater
nahezu bis auf den letzten Platz gefüllt hatten.
235 Jahre
sind vergangen seit der Uraufführung des Trauerspiels über die
tugendhafte, aber auch sehr lebensfrohe und leidenschaftliche Tochter,
die ins Zentrum eines Spiels aus Liebe, Intrige und politischem Kalkül
gerät. „Verführung ist die wahre Gewalt“, erkennt Emilia und zieht
den Tod durch die Hand des Vaters einem unehrenvollen, aber durchaus
attraktiven Leben als Geliebte des Prinzen von Guastalla vor.
In der von
Karl Georg Kayser behutsam modernisierten Fassung des
Marburger
Landestheaters gibt der junge Daniel Sempf den stürmischen
Verehrer, dem man die Hemmungslosigkeit ohne Weiteres abnimmt, mit der
er Frauen nachstellt und sie fallen lässt, wie es ihm gerade in den
Sinn kommt.
Franziska
Endres als Titelheldin wirkt naiv und kindlich, aber sie ist sich
durchaus ihrer Entflammbarkeit bewusst. Man nimmt ihr gerne ab, dass
sie sich für den liebestollen Charmeur begeistern könnte, zumal der
ihr zugedachte Ehemann, Graf Appiani (Ulrich Wittemann) einen Stock
verschluckt haben könnte. Man gewinnt den Eindruck, er wolle nicht die
Tochter, sondern die Eltern heiraten. Man wünscht dem Mädchen beinahe,
ein Leben an der Seite dieses Ehemanns, dazu in irgendeiner
abgelegenen Landgemeinde, möge ihr erspart bleiben.
Dass das so
ist, besorgt Marchese Marinelli (Peter
Meyer), in dessen Händen alle Fäden zusammenlaufen. Nicht mehr als
einen Espresso braucht er, um Intrigen zu spinnen und das Gespräch
stets so zu lenken, dass der andere am Ende nicht mehr weiß, wer denn
eigentlich die Entscheidungen trifft. Frech, in Kleidung, Frisur und
Auftreten ein Stilbruch nach dem anderen, weiß er die Zuschauer in
seinen Bann zu ziehen. Ob er die Hände nicht bei sich behalten kann,
wenn er die elegante und kluge Orsina abwimmelt, ob er lässig die
Geldrolle zückt für den gedungenen Mörder Appianis, ob er dem Prinzen
körperlich und verbal überlegen ist, man nimmt ihm alles ab - und doch
rettet die Selbstironie, mit der Meyer diese Rolle in Szene setzt, den
Zuschauer vor der Identifikation mit diesem süffisanten Machtmenschen.
Den
richtigen Ton für das junge Publikum treffen ganz offensichtlich auch Jürgen Sachs
(Bass) und Thomas Streibig (Gitarre, Saxophon) mit ihrer
Hintergrundmusik, die mit besonderem Applaus bedacht werden.
Das Rund der
Bühne ist sparsam dekoriert mit Neonleuchten in Kästen, die die
Brautwerbung mit wechselnden Farben unterstreichen, den Mordkomplott
in kaltes weißes Licht tauchen. Weitere Kästen wechseln über die
Bühne, mal sind sie schwer, mal federleicht, sind Bett, Tisch, Stuhl
und Kreuz, je nach Bedarf. Die Bühne ist offen, die Schauspieler
bleiben im Rund, treten aus der Zuschauerposition auf die Bühne. Der
Vorhang ist weitgehend Emilia vorbehalten.
Am Schluss
ist die Bühne fast dunkel: "Eine
Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert". -"Da war doch noch
was?" - fragen einige Schüler und manche stellen erleichtert fest: Das
Original ist gut gespeichert.
Nach dem Sommernachtstraum
wissen die Schüler, was für eine Leistung hinter einer solchen
Aufführung steckt und danken mit Applaus, Trampeln, anerkennenden
Pfiffen. Sie finden es gut, ein Jahr nach der Erarbeitung die
Erinnerung aufzufrischen oder manches Neue zu entdecken. Fast schade,
dass der Abituraufsatz mit der Frage, ob man solche Stücke einem
jungen Publikum zumuten kann, bereits im letzten Jahr geschrieben
wurde. Immerhin: Bleibt noch das Lo-net-Forum, in dem die
Einzelkommentare sehr erwünscht sind!
(mein)
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